Improvisation ist alles - das Disko-Set entsteht auf den Baustellen in Handarbeit.
Fotos(3): Hajo Obuchoff


Es war das Jahr 1975, genauer am 15. Juni, als ich mit dem Diskomobil, einem Robur LO 2002A, auf die Reise ging. Ziel: der Baustellenabschnitt der DDR an der ersten internationalen Ferngasleitung, die vom Südural bei Orenburg bis an die Westgrenze der damaligen Sowjetunion bei Ushgorod führten sollte. Es war gleichzeitig das bis dahin größte gemeinsame Bauprojekt der seinerzeit im RGW (Comecon – wie die östliche Wirtschaftsgemeinschaft genannt wurde) zusammengeschlossenen Länder Osteuropas. Die DDR bekam einen mehr als 500 Kilometer messenden Bauabschnitt in der Ukraine zwischen den Städten Krementschuk und Bar zugewiesen.

Drei Jahre lang sollte das Diskomobil die Trassenbauer unterhalten, mit Nachrichten versorgen und Veranstaltungen beschallen. Das Fahrzeug war ein umgebauter Rundfunk-Kinowagen der Nationalen Volksarmee. In der Jugendsendung RUND des DDR-Fernsehens wurden Firmen, Jugendklubs und Privatpersonen zu Spenden aufgerufen, um den Um- und Ausbau zu einer fahrenden Diskothek zu unterstützen. So kamen HiFi-Verstärker, Plattenspieler, Boxen, Tonbandgeräte und viele andere Dinge zusammen, die dann im Rundfunktechnischen Zentralamt der DDR in Berlin Adlershof von jungen Ingenieuren und Monteuren eingebaut wurden. Natürlich sollte auch der militärisch grüne Anstrich weichen. Gestalter des Fernsehens gaben dem Wagen einen kunterbunten Anstrich, der dem schrillen Bühnenbild der RUND-Sendung entsprach.
Die Schlüsselübergabe für das Fahrzeug an seine neuen Betreiber, also mir und Norbert Bau, geschah äußerst medienwirksam im Mai 1975 auf dem Festival der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft in Halle – natürlich während einer RUND-Sendung. Einen knappen Monat später also...

der Aufbruch in den Wilden Osten. Mit 75 PS Motorkraft schaukelte das knapp sechs Tonnen schwere Gefährt anfangs noch über original erhaltener Autobahn zwischen Forst und Breslau, dann durch den schlesischen Kohlenpott, durch Krakow zur schwer bewachten Grenze der UdSSR bei Przemysl.
Die sowjetischen Grenzer schauten über unter und in das Fahrzeug. Dann verlangte einer, ich solle die großen Lautsprecherboxen aufschrauben. Ich gab ihm einen Schraubenzieher und sagte: „Versuchen Sie es selbst.“ Es gelang ihm nicht. Er winkte ab und ließ uns fahren. Zur Begrüßung im Vaterland aller Proletarier wartete eine Bodenwelle, die sich etwa einen halben Meter über dem Niveau der normalen Asphaltdecke erhob. Für unser Allradfahrzeug natürlich kein Hindernis – nur auf die Technik in unserem Koffer mussten wir Rücksicht nehmen.
Ähnliche Unwirtlichkeiten sollten uns auf dem Weg bis ins Ziel nun des Öfteren begegnen. Baustellen auf den Landstraßen wurden entweder parallel zur Straße auf Feldwegen umfahren oder es ging einfach über den Schotter, der als Untergrund für die geplante Asphaltdecke gedacht war. Gefährlich waren auch kleine Brücken über schmale Rinnsale. Bei Nichtbeachtung strapazierten sie die Stoßdämpfer durchaus rabiat. Mit der Zeit bekamen wir ein Gefühl für solche Fallen. Auch an Hinweisschilder mit der Aufschrift „nächste Tankstelle 150 Kilometer“ gewöhnten wir uns. Und dass man erst bestellen musste, wie viel Liter man tanken möchte und entsprechend in Vorkasse gehen musste, begriffen wir schnell.

An der Trasse wurden wir schon sehnsüchtig erwartet als wir drei Tage nach der Abfahrt und etwa 1500 Kilometer mehr auf dem Tacho vor Ort ankamen. Der Sommer 1975 war ausgesprochen heiß und trocken. Umso besser lief abends das Bier durch die staubigen Kehlen der Bauleute. Und mit Musik trank es sich fröhlicher. Auch die wenigen Frauen der Belegschaft brauchten sich über fehlende, meist bärtige und langhaarige Tanzpartner nicht beklagen. Die eilig gezimmerte Tanzfläche unter freiem Himmel war stets voll. Wer keine Partnerin fand, tanzte allein oder mit seiner Bierflasche.

Wir fuhren von Baustelle zu Baustelle. Die Wohnlager der Trassenbauer lagen etwa 200 bis 300 Kilometer voneinander entfernt. Also gleich um die Ecke, wie die Ukrainer meinten. Wir blieben meist drei oder vier Tage an einem Ort. Später kamen auch Künstler an die Trasse. Musikgruppen oder Orchester. Nicht selten begleiteten wir sie.
Als die einzelnen Baustellen mit eigenen Kultureinrichtungen versorgt waren, wurden wir mit dem Diskomobil im mobilen Wohnlager stationiert. Diese Lager bestanden aus Bauwagen und lagen nicht weit vom sogenannten Linearen Teil entfernt. Der Lineare Teil war die Baustelle, wo der eigentliche Rohrstrang der Erdgasleitung gelegt wurde. Manchmal fuhren wir dort raus auf die einzelnen Baustellen, um in den Pausen Musik zu machen. Dabei zeigte sich die sehr gute Geländegängigkeit des Wagens. Denn oft waren steile Hügel und schlammgefüllte Senken zu überwinden, im Winter Schneewehen. Aber nur selten musste eine Raupe uns aus einem Schlammloch befreien.

Dreimal wurden wir sogar direkt produktiv. Es gab Bauabschnitte, die durch Sümpfe führten. Dort wurde dann ein zuvor zusammengeschweißtes Rohr von bis zu 200 Metern Länge von mehreren Kränen gleichzeitig in den Graben gesenkt. Um diesen Prozess koordiniert zu lösen, gab der Bauleiter über die Außenlautsprecher des Diskomobils entsprechende Kommandos für die Kranführer.
Neben Diskoveranstaltungen versorgten wir die Trassenbauer auch mit aktuellen Nachrichten. Anfangs hörten wir nachts die schlecht zu empfangenen deutschen Rundfunksender ab und notierten das Wichtigste, zum Beispiel die Fußballergebnisse. Später bekamen die Baustellen Fernschreiber, die ebenfalls Nachrichten mit den wichtigsten Ereignissen aus der Heimat übermittelten. Die redigierten wir und sendeten sie meist zu den Essenzeiten in den Speisesaal.
Nach gut drei Jahren, im Dezember 1978, als die Hauptarbeiten an der Drushba-Trasse offiziell beendet waren, führten wir das Diskomobil bei Schnee und 20 Grad Frost zurück in die DDR. Dort verbrachte es noch einige Jahre in der Pionierrepublik am Werbellinsee. Seine Spuren verloren sich dann. Augenscheinlich wurde es noch vor dem Ende der DDR verschrottet.