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Kategorie: Oldtimerreporter überregional


Ein echter Europäer - der Opel Rekord P2. Halter Thomas Boos freut sich über den zugelaufenen Klassiker.
Fotos: Oldtimerreporter.Müller


Manchmal möchte man gerne ergründen, was einen Autokäufer zum Kauf dieses oder jenes Modells bewegt. Ist es die Markentreue? Die Formschönheit? Oder die schlichte Vernunft? Man weiß es nicht immer, es bleibt gerne im Dunkeln, aber das beflügelt die Phantasie! So auch im Falle eines Monsieurs, nennen wir in Jean-Luc, aus dem schönen Frankreich, einst Besitzer eines Opel Rekord P2.
Rückblick: Sommer 1962, Pierrefitte-sur-Seine. Hier in diesem Pariser Vorort möchte sich Jean-Luc etwas gönnen, einen neuen größeren Wagen. Da kommen natürlich etliche Modelle aus heimischer Produktion in Frage, der attraktive Peugeot 404, die formschöne Simca Aronde, ein Panhard PL17 und, und, und.
Aber Jean-Luc entscheidet sich anders, er steuert die Garage Luis Palacio an, dort finden sich allerlei GM-Fahrzeuge (aus französischer Produktion!) im Schaufenster.

Dazu zählen natürlich auch die verschiedenen Opel – Modelle jener Jahre, der neue Kadett, der große Kapitän und – der Rekord P2. Hübsch anzusehen ist er, der Mittelklässler aus dem Hause Opel, wie ein kleiner Chevy. Panoramascheiben vorne UND hinten! Der neueste Schrei jenseits des Atlantiks, man sagt, es diene der besseren Rundumsicht. Sicher, da ist etwas dran, aber noch viel mehr sieht es einfach schick aus, so richtig amerikanisch eben.
Immerhin, Opel nimmt Rücksicht auf die orthopädische Gesundheit der Insassen und biegt die Panoramascheiben des P2 deutlich weniger um die Ecke als beim Kapitän P1. Auch die Heckflossen des P2 fallen dezent aus, die Zeit der sachlichen 60er-Jahre-Trapezform ist eingeläutet. Am Heck finden sich Details der verspielten 50-er Jahre wieder: Die berühmten Knubbel-Heckleuchten, vom Volksmund wegen ihrer etwas zweideutigen Form rasch „Teenagerbusen“ getauft.
Ob diese für Jean-Luc ein Kaufgrund sind, bleibt sein Geheimnis. Klar ist, seine Wahl fällt auf die P2-Limousine. Und wenn schon, denn schon. Das Standardmodell für knapp 7.000 DM (ca.8800 Francs) mit 1,5 Litern Hubraum und 50 PS kann ja jeder kaufen. Rückfahrscheinwerfer 25 DM extra.  Nein, die „L“-Variante soll es werden. 1,7 Liter! 60 PS! Vierganggetriebe serienmäßig! Einzelsitze vorne! Liegesitze und Chrom! Inklusive eines gekrönten „L“-Emblems auf dem Seitenteil hinten links und rechts. Vier Türen inklusive, fertig ist die Luxus-Kalesche für 7935 DM (ca.10000 Francs). Jean-Luc könnte dafür auch ein P2-Coupé (rasender Kofferraum!) mit allem Schick oder einen Caravan plus Moped erwerben. Oder zwei Döschwo, mit wenig Chrom und 12 PS… So zieht Jean-Luc mit seinem schwarzen P2 1700 „L“ vermutlich sehr zufrieden über Jahre seine Bahnen. Irgendwann landet der Opel in einer abgelegenen Scheune und wird beinahe vergessen. Bis ein Sammler aus Deutschland das Juwel entdeckt; dann tritt der P2 die Reise nach Deutschland an.


Ein bisschen Wohnzimmer muss schon sein.


esentlich mehr Bewegung erhält er dort allerdings auch nicht, die Garage bleibt sein Zuhause. Er befindet sich in Gesellschaft mit etlichen anderen Oldies, die alle ein Wartedasein fristen. Schließlich 2013 der Anruf bei Thomas Boos in Baden-Baden, P2-Retter gesucht! Man kann nicht sagen, dass Herr Boos gezielt nach alten Opel oder nach alten Autos überhaupt sucht – sie laufen ihm zu wie junge Hunde. Mit seinem Fachbetrieb für Karosseriereparaturen und Lackierungen widmet er sich speziell den alten Schätzen, so etwas bringt Bekanntheit in der Oldie-Szene. Viele Anrufe beginnen mit dem Satz „Ich hätte da noch…“
Wir alle kennen das, so viele Schätze könnte/sollte/müsste man bergen und aufheben. Wären da nicht immer diese limitierenden Faktoren Platz und Familie… Einen weiteren Anbau an die großzügigen Betriebshallen lehnt Thomas Boos aus verständlichen Gründen ab. Worüber seine Familie auch deutlich erleichtert sein dürfte. Immerhin, der Opel hat ein Heim im Hause Boos gefunden. Im stilechten Ambiente mit Wurlitzer-Musikbox im Büro. Neben seinen Oldtimer-Kollegen Chevrolet 3100 Thriftmaster und Willys Jeep (mit Erstzulassung am Geburtsdatum seines Eigners).
Nach der Ankunft in Baden-Baden ist zunächst eine Generalüberholung angesagt. Jahrelanges Stehen ohne Bewegung in dunklen Garagen bekommt Oldtimern meist nicht gut, das wissen wir alle. So auch in diesem Fall. Merke: Ein verschlammter Motor setzt auch einem zuverlässigen Opel deutlich zu.


Opel und Frankreich: Diese Story gibt's nicht erst seit der Übernahme durch den PSA-Konzern. Obwohl: damals war ein Rekord im Land des Savoir-Vivre eher die Ausnahme...


Und dass Bremsen sowie Gummiteile eines Autos nach langer Stehpause ersatzbedürftig sind, versteht sich. Auch der Lack des P2 erfährt eine Kur, dabei wird das Dach nun weiß lackiert. Die Insassen sind dankbar für diese Hitzeschutz-Maßnahme, schließlich geht es nach der Renovierung auch auf Reisen ins sonnige Italien, bei denen sich der französische Rüsselsheimer übrigens recht wacker schlägt. Pannen auf mittlerweile 10.000 km? Ja, gibt es. Ein Bakelit-Kugelkopf der Schaltführung verabschiedet sich bei 38 Grad, Gott sei Dank sehr nah der Heimat. Ein Anruf beim Oldie-Mechaniker des Vertrauens bringt die Sache in Ordnung. So zeigt der Kilometerzähler des Opels mittlerweile 90.000 km, ohne dass ein Ende auch nur annähernd in Sicht wäre. Wohl behütet unter dem Dach einer Retro-Tankstelle, zwischen wunderschönen alten Zapfsäulen und Öldosen, geht er seinem siebten Jahrzehnt entgegen. Mit Würde trägt er die Spuren seines Alters, eine Chromschramme hier, ein Lackbläschen dort, aber keinerlei Rostspuren.
Die meisten seiner Brüder starben nach 8-10 Jahren Alltag den Rosttod, Jean-Lucs Wagen wurde wohl durch seine französische Herkunft davon verschont. Dennoch, im nächsten Winter steht eine Teilzerlegung ins Haus. Dann erfährt der Lack eine erneute Renovierung, vielleicht ersetzt man auch das ein oder andere Chromteil. Wenn sich denn eines findet. Zierleisten - gebraucht, nicht neu - werden in Gold aufgewogen. Eine Chromleiste an der Tür gefällig? Viel Glück, Geduld und Geld für die Suche! Hierbei sind natürlich Netzwerke wie die Alt-Opel-IG () hilfreich, dort findet sich geballtes Wissen um die P-Modelle und andere Opel-Oldies. Die Kofferraumhaube wird nicht ersetzt, sie bleibt Teil der Geschichte des Jean-Luc-P2. Die Garage Palacios nimmt es 1962 nicht so genau mit der Unversehrtheit eines Neuwagens und bohrt kurzerhand drei Löcher in die Haube zur Befestigung des Firmenemblems. Ca va! Das stört den P2 nicht wirklich. Er läuft und läuft und läuft… Jean-Luc hätte seine Freude daran, ganz gewiss. A votre santé, P2!

(Vielen Dank an Thomas Boos und an die Alt-Opel-IG )