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Kategorie: Oldtimerreporter überregional

Kay Lott ist der Wächter der Familientradition: Der Sechsender darf nicht weg. Schließlich war er mal ein Hochzeitswagen.
Fotos: Oldtimerreporter.Müller


Breite Sessel, bestens geeignet, um darin zu versinken. Ein Lenkrad eines Ozeandampfers, spindeldürr und bakelitglatt. In dessen Mitte der berühmte Opel-Blitz. Der Blick über die Unendlichkeit der Motorhaube lässt den Fahrer in die Welt amerikanischer Straßenkreuzer gleiten. Lenkradschaltung, vier Gänge, zwei oben, zwei unten. Wo genau sich Gang 1,2,3 und 4 befinden, muss die Fahrpraxis noch erweisen. Große Karosse, zierliches Zündschloss, zierlicher Zündschlüssel. Einfädeln des Schlüssels, Einschalten der Zündung. Vor dem Kaltstart bitte 2-3 mal das Gaspedal betätigen. Großzügige Flutung des Doppelvergasers, Start. Im Bruchteil einer Sekunde erklingt ein Sechszylinder-Bass, der auf der Hitliste der wohligsten Motorklänge ever ganz oben steht.

Sechszylinder, absolut richtig. Auch in Verbindung mit den „Rekord“-Emblemen auf den Kotflügeln. Schließlich nehmen wir im Rekord C6 des Lesers Kay Lott Platz. Rekord C 6, noch nie gehört, werden Sie vielleicht jetzt sagen. Und Sie werden nicht der Einzige sein, der das sagt. 1100 Opelisten entschlossen sich zwischen August 1967 und Juni 1968 zum Kauf eines Opel-Wolfs im Schafspelz. 1100 mal C6, verteilt auf Limousinen, Coupes und Caravans. Kein Massenfahrzeug, schon damals nicht. Heute hat die Nicht-Rostvorsorge jener Tage aus den 1100 C6 ein Spurenelement gemacht.  Beinahe romantisch erscheint es, dass sich da ein quasi unberührtes Exemplar erhalten hat. Der Lott-C6 ist das beste Beispiel für „Ich habe es verdammt ruhig gehabt in meinem Autoleben“.


Oldtimer-Mehrwert: Der origianale Brief ist noch vorhanden. Serviceheft und Betriebsanleitung übrigens auch.


Reisen wir mit Hilfe des alten Fahrzeugbriefes zurück ins Jahr 1968: Herr Oskar hat es zu etwas gebracht. Er ist Gipser von Beruf und besitzt mittlerweile ein eigenes Geschäft. Da liegt es nahe, sich ein stattliches Fahrzeug vor die Haustür zu stellen, etwas zum Herzeigen vor der Kundschaft. Ein Besuch im Opel-Autohaus des Ortes bringt das passende Ergebnis: Eine granitgraue Rekord C 6-Limousine, ausgestattet mit vier Türen, einer Menge Platz rundum, einer ganz wichtigen Anhängerkupplung und – dem brandneuen CIH-Sechszylinder. Sechs Töpfe, 2200 cm³, 95 PS. Das ist der berühmte Löffel Butter mehr gegenüber den „kleinen“ Vierzylindern mit 1500, 1700 oder 1900 cm³. Damit lässt sich ein schwer beladener Gipser-Anhänger souverän auch über steile Schwarzwaldstraßen ziehen, oder das Urlaubsgepäck über den Brenner. 


Die edelste Oldtimer-Nutzung: Gemütlich auf der Straße wohnen - im Rekord-Wohnzimmer.


Der große Rekord zieht also ins Gipserhaus ein. Doch was dann? Oskar bekommt plötzlich kalte Füße. Nein, nicht IM Rekord, sondern WEGEN des Rekords. Die Sechszylinder-Kragenweite erscheint ihm nun zu groß, er äußert sehr bald und wohl auch recht laut Verkaufsgedanken. Die kann Herrn Oskars Nachbar schlicht nicht überhören. Dieser Nachbar wird a) etwas später zu Kay Lotts Großvater und b) noch im Jahr 1968 zum neuen Besitzer des C6.
Neue alte Bezeichnung des Rekords: Standuhr. Der neue Besitzer steuert beruflich große LKW und hat privat wenig Muße, sich mit dem Autofahren zu beschäftigen. Die Romantik beschert dem C 6 dennoch einen großen Einsatz: Er dient 1968 als Hochzeitswagen für Mutter Lott! Da leuchtet es ein, dass Mama Lott den Rekord heute beinahe noch mehr hütet als Lott junior. Ihre Augen glänzen vor Rührung, wenn sie  vor dem Sechszylinder steht. Nach dem frühen Tod von Großvater Lott ist die Familienreise des Rekord noch längst nicht zu Ende. Onkel Lott, übernehmen Sie! Er übernimmt. Auch der Onkel wird nicht als Rekord-Vielfahrer bekannt, besitzt er doch noch andere unterhaltsame Fahrzeuge wie z.B. einen Jeep. So führt die Kilometerwalze im Rekord 6 weiterhin ein sehr geruhsames Leben. Nur mit Mühe erreicht sie nach über 10 Jahren die 20.000km-Marke.


Die Sache hat einen Haken - zum Ziehen. Apropos Haken: Haben Sie mal versucht, für einen Klassiker eine Anhängerkupplung zu bekommen?


Zur Feier dieses Ereignisses erhält der Sechsender noch einen großen Service, nicht lange danach wird es noch geruhsamer für den C6. Noch geruhsamer? Ja, wahrhaftig. Cousin Lott kommt zum Rekord wie die Jungfrau zum Kinde. Er pflegt im Allgemeinen zu Autos ein eher unterkühltes Verhältnis. Na ja, Hauptsache, der Rekord bleibt in der Familie! Sie wissen ja, der alte Hochzeitswagen, den kann man ja nicht einfach so in fremde Hände…
Man schiebt den Rekord in eine Garage. Allerdings schiebt man ihn auch für viele, viele Jahre nicht wieder hinaus. Ein Rekord? War da noch so etwas? Erst 2017 dämmert es wieder. Mutter Lott erwähnt im Nebensatz den alten Opel, der da noch irgendwo in der Garage schlummert. Ein alter Opel?? Kay Lott ist elektrisiert. Wo ist der? Der muss her, der muss in der Familie bleiben! Wehe, wenn ein Fremder käme, das Auto kaufte und Schandtaten mit ihm verübte. Niemals! Gesagt, geschehen.
Nach Jahren des Dornröschenschlafs wird der Rekord aus der Gruft gezogen. Bestandsaufnahme: Mattgrau ist zwar modern, passt aber zu einem Rekord C doch nicht so ganz. Die Schweller haben Open-Air-Konsistenz, an den Endspitzen nagt der für alte Opel fast standardmäßige Rostteufel. Merke: Endspitzen, in die Wasser gelangt, aber nicht wieder hinaus kann, sind nur eingeschränkt durchdacht. Die Sitzmöbel sind erstaunlicherweise stark verschlissen- wovon eigentlich? Ansonsten präsentiert sich der alte C6 bezaubernd rüstig. Weiterer Rost? Fehlanzeige. Dass  Fahrwerksbuchsen oder Bremsbeläge nach ewiger Standzeit ermüdet sind, erklärt sich. Ebenso die Bereifung, die durch Weißwand-Exemplare ersetzt wird.  Blechteile für den 2200? Unterscheiden sich Gott sei Dank nicht von denen der Vierzylinder. Das macht sie halbwegs verfügbar. Für den Fall des Falles stapeln sich im Lott´schen Teilelager noch einige Teile aus früherer Rekord-Hausschlachtung. Der Sechszylinder erhält also eine Neulackierung im zauberhaften, originalen Granitgrau, die rostigen Blechteile weichen Neuteilen. Der Motor, wen wundert´s nach etwas mehr als 20.000 km, benötigt nur eine Frischzellenkur in Form von neuen Dichtungen und Flüssigkeiten. Ventile und Vergaser einstellen, und schon kann der Bass wieder tönen. Innen zieht gelochtes Kunstleder ein, ganz im Opel-Stil der ausgehenden 60er. Die originale Servolenkung (!) wird weiterhin vom originalen Bakelit-Lenkrad dirigiert.
Leichtfüßig lenkt sie den schweren Kutter um die Ecken und verstärkt im Verbund mit der dotterweichen Federung das Highway-Gefühl mitten im Schwarzwald. Beinahe aber ist es dem Cruisen wieder dahin: Ein träumender Gabelstapler-Lenker parkt die Hubarme seines Gefährts exakt in den Luftschlitzen des Frontblechs, hinter denen sich leider ein Kühler befindet…
Es lebe Opels Gleichteile-Philosophie! Was bei einem Rekord 6 passt, lässt sich auch in einem Commodore 6 finden. So kann die Geschichte der grauen Mauritius weitergehen. Hoffentlich noch Rekord-verdächtig lange! Und falls der Rekord mal keine Herausforderungen mehr bietet, stehen da ja noch ein Kadett GSi und ein Alfa Spider in der Garage…

Sie wollen auch so einen Rekord? Dann brauchen Sie zwischen 13.000 und 16.000 Euro für einen guten Sechsender.
Und sie brauchen viiiiiel Geduld...und die Erkenntnis, dass die wenigen, die es gibt, meist nur innerhalb der Szene den Eigner wechseln.