Nicht nur der Grill wurde beim Trabant 1.1 geändert. Auch die höhere Haube signalisiert den "VW-Big-Block" darunter.
Fotos: Oldtimerreporter.Müller.


1989, überall in der DDR. Der Stern des Sozialismus sinkt in Rekordgeschwindigkeit. Bürger begehren auf gegen Mangelwirtschaft und Unfreiheit, die altgediente Herrenriege des Politbüros muss ihren Hut nehmen. Ein Staat geht unter in den Wirren der Wendezeit, mit ihm viele bisherige Symbole des kleinen Wohlstands Ost. Die Grenzen sind offen, die Verlockungen des Westens sind nun erreichbar geworden. Dort findet sich auch ein vielfältiges Angebot an Gebrauchtwagen im Zustand 1 – 6. Luxus im Viertakt, so scheint es – was gilt da noch das bisherige zweitaktende Heiligtum? Die Straßen des Ostens und Westens füllen sich mit verlassenen Wartburg und Trabant. Der treue Begleiter Trabant wird schmählich missachtet, 18 Jahre Wartezeit sind vergessen, Golf & Co.rufen.

Das lässt die Alarmglocken bei den Fahrzeugwerken Zwickau schrillen, eine Überlebenslösung muss her. Die liegt im Prinzip schon in der Schublade: Etwa seit 1984 gibt es lose Planungen, einen VW-Polo-Viertakter unter die Haube des Trabanten zu bringen. Diese Planungen erfahren nun einen unerwarteten Schub, bereits im Juli 1990 erscheint der erste Viertakt-Trabant  (1,05 Liter, 40PS) auf dem Markt. Eine erfolgreiche Ehe? Leider nicht. Nur knapp 40000 Trabant 1.1 verlassen in einem Jahr das Band, dann ist der Trabant endgültig Geschichte.
2021, ein kleiner Ort im Schwarzwald. Unter einem Lindenbaum parkt eine beige-braune Limousine, deren Silhouette die Gedankenwelt automatisch in Richtung 60er-Jahre driften lässt, allem dezenten Neuzeitschmuck zu Trotz. Noch mehr kommt die Verbindung zu Zweitaktschwaden und süßlichem Auspuffparfum in den Sinn. Ein kurzer Start des kalten Motors widerlegt diese Assoziation recht bald: Statt eines holprigen „Räng-Däng-Däng“ ist die Geräuschkulisse von klappernden Hydrostößeln zu vernehmen, irgendwie ein kurioses Geräusch unter dieser Verpackung. Man kann sich bei laufendem Motor problemlos ans Auspuffende des Trabant 1.1 stellen, eine Gefahr des Benebeltseins entwickelt sich nicht. Von dieser Seite aus sind auch die überdimensionalen Rückleuchten des Trabant 1.1 zu betrachten, man kann die Not der Konstrukteure erkennen, einen Rückfahrscheinwerfer darin unterzubringen. Nebenan DAS entscheidende Detail: Das Emblem „Trabant 1.1“.


Monströse Leuchten lassen die 1.1-Heckflossen hecklastig wirken.


Diese zwei Ziffern sind Trabant–Besitzer Kay Lott auch sehr wichtig, möchte er - anders als viele Fans - doch keinen zweitaktenden Trabanten auf dem Hof parken.  Wie kommt man aber dazu, sich den Ost-Gefährten als Old-/Youngtimer zu erwählen? „Gesehen und verliebt“, meint Kay Lott dazu. Das Durchforsten von automobilen Kleinanzeigen gehört zu seinen Leidenschaften dazu wie das Schrauben an den alten Schätzen. Wie sonst käme man zu einem Alfa Spider, einem BMW E28 M535i in der Restaurierung, einer Miele K52, einer Vespa und einem weiteren Ost-Mobil – einer Simson Schwalbe? Der Rekord C6 in der Lott´schen Garage ist nicht diesem Beuteschema entsprungen, er ist ein Familienerbstück. Andere erben Möbelstücke, Kay Lott eben einen ultra-seltenen Opel Rekord C6. Was sonst? 


Bitte Platz zu nehmen! Die "Knüppel"-Schaltung vermittelt einen Hauch von Sportlichkeit ... oder?


Zurück zu den Kleinanzeigen: Kay Lott schaut, entdeckt den Trabant 1.1, fängt Feuer und macht einen Besichtigungstermin aus. Sozusagen eine fließende Bewegung. Mit dem KFZ-Experten Markus Huck im Schlepptau geht es zum 50km entfernten Trabant-Standort. Dort lächelt den Interessenten eine absolut neuwertige 1.1- Limousine an. Kein Wunder angesichts des Tachostands von etwa 53.000 km. Die beiden Vorbesitzer gehören wohl zu der Gattung „Wir tragen unseren Oldie auf Händen“. Beim ersten Besitzer mag ein Schuss Nostalgie beim Kauf eine Rolle spielen, ist er doch durch seine osteuropäische Herkunft wohl vertraut mit der Trabant-Erscheinung. Wo die Nostalgie eben hinfällt, könnte man sagen. Leider ist diesem Besitzer das Trabant-Glück nicht lange hold, eine Beinverletzung macht das Kuppeln unmöglich. Die Zweitbesitzer erwählen sich den 1.1 als Alltagsoldie und vergessen dabei eine Kleinigkeit: Für Kinderwagen & Co. ist der Trabant eher suboptimal geeignet. Niedrige Ladekanten sind bei der Planung des 601 in den späten Fünfzigern noch ein unwichtiges Thema. Daher muss der 1.1 bei der kleinen Familie in den 2020ern wieder weichen. Kay Lott kommt, sieht und kauft. Heimtransport auf eigener Achse. Heimweg auf dem Highway, 10km Landstrecke und 40 km Autobahn. Das Abenteuer ruft! Viertakt-GERÄUSCHkulisse. Dämmmaterial scheint bei der Trabant-Planung ebenso wenig eine Rolle zu spielen. O-Ton Kay Lott: „110 km/h sind möglich, für mehr braucht es sehr gute Ohrenschützer.“ Die Straßenlage ist erstaunlich gut, ein erwartetes Hoppeln bleibt weitgehend aus. Trabant-Fahren erzieht zur Demut, man ist schon mit dem kleinen Glück zufrieden. Die unkonventionell verbaute Motorhaube (hier noch Kunststoff) des 1.1 stört dabei wenig. Sie liegt an der Öffnungsseite nicht wirklich bündig an, grob geschätzt beträgt der Überstand etwa 1cm. Nun, irgendwie muss ja der Big-Block-


"Leistung" zeigen: Mit dem 1.1-Liter-VW-Motor, der auch im Polo verwendet wurde, hatte der Viertakt-Trabant 15 Pferdestärken mehr als zum Serienstart des 601. Aber auch das reichte gerade einmal für etwa 125 km/h in der Spitze. Im VW Polo brachte die Maschine 45 PS auf sie Straße.


unter die Haube, da muss sich der Deckel eben etwas anpassen.
Kay Lott sieht es, versucht sich mit bestem Mechaniker-Geschick an der Einstellung und stellt fest:  Es gehört so zum 1.1. Auch Ergonomie wird vielfach überbewertet.  Merke: Auch mit einem etwas nach rechts verschobenen Pedalblock lässt sich ein Oldie bewegen. Unter Umständen hat der nachfolgende Verkehr allerdings leichte Anpassungsschwierigkeiten, wenn man statt des Gaspedals das Bremspedal betätigt. Man kann aber sagen: Die Bremse des 1.1 wirkt recht kräftig. Vielleicht, so denkt man, sollte sie angesichts des prominent im Kofferraum stehenden Tankrohrs nicht zu kräftig ausfallen… Kay Lott erfreut sich derweil an der neuwertigen Lackierung des 1.1 in herbstbeige. Einen Lackierer benötigt es also nicht in der nächsten Zeit, auch keinen Schweißapparat für die Unterkonstruktion des Trabant. Lediglich etwas Klebstoff scheint erforderlich, beim Fototermin gibt die Verklebung des Innenhimmels der Wärme nach und lässt das Filzmaterial herabsinken. Silicon Valley, wo bist du? Was wiederum beweist: Auch mit einem modernen Motor bleibt der Trabant ein einfaches Auto. Ein wenig Werkzeug, etwas Plaste genügen, um den kleinen Freund wieder flott zu machen. Und er ist leicht zu lieben, egal, ob nun Zweitakt oder Viertakt. Kay Lott jedenfalls liebt die Einfachheit des Trabants. Man darf gespannt sein auf weitere Trabant-Abenteuer aus dem Hause Lott. Denn: Den Trabant in seinem Lauf hält weder Golf noch sonst wer auf. Und Spaltmaße auch nicht. Und fehlende Plaste erst recht nicht. Es lebe die Pappe!