"Frisch" aus den Pyrenäen: Ein megaseltener und dank der Pflege der Vorbesitzerin top erhaltener OSI Neckar St. Trop, jetzt in den Händen des überzeugten Europa-Fans Ulrich Schulik. Fotos: Oldtimerreporter.Müller


Europa in den 1960er-Jahren. Die Spuren des Krieges sind noch deutlich zu erkennen an vielen Ecken des Kontinents. Man ist darum bemüht, sie auszuradieren, die Wirtschaftswunder werden angeschoben. Dass die einzelnen Länder miteinander arbeiten sollten, ist noch nicht in alle Winkel Europas vorgedrungen. Eine Union erscheint weit entfernt, wirklich grün ist man sich noch wenig in Europa. Dabei zeigt doch ausgerechnet ein Automodell auf, dass es funktionieren kann: Der NSU-Fiat Neckar Europa. Uff, welch ein ausufernder Name.

Es bedarf der Erklärung: 1926/27 geraten die Vereinigten Fahrzeugwerke Neckarsulm (NSU) in eine finanzielle Schieflage. Fiat greift ein und übernimmt das Werk in Heilbronn. Es bildet sich die NSU-Fiat AG. Deren Aufgabe ist die Lizenzproduktion von Fiat-Modellen. So entstehen noch bis 1973 Lizenzbauten zahlreicher Modelle wie dem 500C/Topolino, dem Jagst 600/770= Fiat 600 etc. Und eben einer unserer Hauptdarsteller, der NSU-Fiat Neckar Europa. Der Nuova Fiat 1100 ist von Anbeginn 1953 an ein großer Erfolg, warum also sollte man am Neckar nicht davon profitieren? Der 1100 bietet alles, was das Familienherz in Rom, Genua oder Heilbronn begehrt: Vier Türen, reichlich Platz auch für germanische Sitzriesen, Tomatenkisten und die Reise gen bella Italia. Süßwaren essende beleibte Damen auf der Hinterbank im NSU-Fiat? Kein Problem, wie NSU in einem Werbefilm zeigt. Von diesen Raumverhältnissen ist auch Ulrich Schulik beeindruckt.


Nochmal Neckar, nochmal Europa. Ein himmelblauer 1100-er Spezial gehört bei Ulrich Schulik auch zur Familie.


Er ist der Besitzer eines wunderbar erhaltenen 1962er Neckar Europa Spezial. Da sind sie also wieder, die Zauberbegriffe Neckar und Europa. Am Neckar produziert (Karosseriebau Weinsberg) und europaweit vertrieben. Ein wahrhaft länderübergreifendes Modell, nicht wahr? Dass dies leichte Schwierigkeiten beim Kauf eines Neckar mit sich mitbringen kann, spürt Ulrich Schulik auf der Tachowalze seines Alltagsfahrzeugs. Wie es so geht, segelt er eines Tages auf einer bekannten französischen Internet-Börse, deren Namen man mit „gute Münze“ übersetzen kann. Seine Surfziele sind eigentlich Ersatzteile für andere Klassiker, die in seinen Garagen zu Hause sind. Merke: Auch für eine Borgward Isabella oder für einen frühen NSU-Fiat Neckar finden sich Ersatzteile im Land von Baguette und Fromage.


Vom Neckar an die Côte d'Azur - natürlich nach St. Tropez - mit dem kleinen OSI-Cabrio sicher ein besonderes Erlebnis.


Eine gewisse Sprachkenntnis ist da deutlich von Vorteil; die sind bei Ulrich Schulik als Französischlehrer klarerweise vorhanden. Die Suche verläuft so lala, doch da, was ist das? Ein kompletter Neckar Europa Spezial! In einem wunderschönen Blau! Für einen kleinen vierstelligen Betrag! Wo ist die Falle? Nun ja, die Pyrenäen sind eine wunderschöne Region, nur leider liegen sie nicht ganz vor der Haustür des Elsasses… Egal, es ist ein Europa! Während der Hinfahrt kurze Selbstzweifel, ob diese Aktion nicht doch vielleicht zu verrückt ist… Nein, ist sie nicht. Schließlich ist Ulrich Schulik der Initiator der Europa-Sternfahrt 2017 anlässlich des 60.Jahrestages der Römischen Verträge. 1957 startet die europäische Union. Ein wahrer Anlass, Jugendliche aus ganz Europa zu gemeinsamen Projekten einzuladen und mit ihnen eine Sternfahrt nach Italien zu unternehmen. Welcher Oldie würde dazu besser geeignet sein als der Europa? Doch vor diese Fahrt setzt der Oldie-Gott zunächst einmal die Oldie-Anschau in den Pyrenäen. Kurze Zusammenfassung: Gemischte Bilanz. Ausführlicher gesagt: Die Karosserie ist in einem hervorragenden Zustand. 40 unbewegte Jahre in einer trockenen Scheune, vorher kein Streusalz. Hellblauer Lack ohne Mattheit, alle Chromteile sind vorhanden und bedürfen nur einer Politur. Nun gut, die Polster lösen sich ein wenig auf, aber das kann man zur üblichen Unterhaltung bei 60-jährigen Autos zählen. Die Katastrophe nähert sich unter der Haube: Motorschaden. Nur noch zwei der vier Zylinder spielen im Fiat-Konzert mit, hier ist eine größere OP notwendig. Wie gut ist es dann, wenn man einen alten Motoren-Zauberer in Frankreich an der Hand hat, dessen Passion Fiat-Motoren sind. Sehr praktisch! Also, Europa bleibt zunächst in Frankreich.


Das 1200-er Fiat-Motörchen reicht dicke, den OSI flott zu bewegen - wenn's denn mal sein soll.


Zeit für andere Projekte. Etwa für die Erfüllung eines Kindheitstraums. Sie ahnen es vielleicht schon, auch der hat etwas mit Europa und Neckar zu tun. Rückblende in das Ruhrgebiet der 70er-Jahre: Irgendwann fährt einem autobegeisterten Jungen, der heute Französischlehrer ist, ein sehr interessantes Auto über den Weg. Klein, offen, sportlich, am Heck eine V-förmige Sicke. Der Junge hält es für einen VW Karmann-Ghia und schwärmt. Dieses kleine Auto geht ihm nie mehr aus dem Kopf, 2018 taucht es wieder verstärkt auf. Inzwischen ist der Junge erwachsen und weiß, was er damals gesehen hat: Ein OSI Neckar St Trop Cabriolet. Davon haben Sie noch nie gehört? Das leuchtet ein. Nur jeweils etwa 280 Exemplare des OSI 1200 S/ Neckar St Trop entstanden bei OSI. OSI? - ein  italienischer Karosseriebauer, 1960 gegründet und 1968 als Fahrzeughersteller in die blauen Himmel des Autobaus eingegangen. Die Welt verdankt OSI solch hinreißenden Gefährte wie den OSI-Ford 20 M TS und eben den OSI 1200 S. Profane Basis des 1200 S: Der NSU-Fiat Neckar. Man verkürze dessen Radstand um 20cm, schneidere ein Cabriokleid  – der Rest wird mit Großserientechnik aufgefüllt. Aber wo findet man heute eine solche Rarität? Ganz nahe liegend: In den Pyrenäen. Dort schlummert das kleine 1964er Cabrio in der Garage der Zweit(!)besitzerin. Etwa 13000 km stehen auf dem Tachometer- vielleicht sogar ohne versteckte Eins? Der Preis klingt annehmbar und nicht nach Ankauf eines Loireschlosses, wie bei einem Verkäufer im Jahr zuvor. Also, auf in die Pyrenäen zur Besichtigung. Siehe da, die Fotos halten ihr Versprechen. Ein wunderschöner, rostfreier St Trop. Vor Jahren restauriert und dabei von rot auf weiß umlackiert, glänzt der OSI in der Pyrenäensonne. Die Technik? Funktioniert bis heute einwandfrei. Nun, dass die Elektrik zuweilen ein Eigenleben hat, was macht´s- ist ja auch ein italienisches Auto, das darf das.
Wichtiger ist der Blechzustand. Ein Ersatz für eine Tür oder einen Kotflügel? Gibt es, handgefertigt beim Karosseriebauer des Vertrauens. Inklusive Rechnung all´arrabiata. Ach ja, Rückleuchten sind frei käuflich. 380€ das Stück, sie passen auch bei einem Bizzarrini 5300 Strada… Wichtig auch folgende Frage: Passt man in das kleine Cabrio hinein? Es passt, auch bei 1.90m Körpergröße. Und Cabrios fährt man ja eh nur mit offenem Dach, nicht wahr? Bei der Fahrt durch die Südpfalz ist zu spüren: Der kleine Junge hat seinen Traum erfüllt. Den Pyrenäen sei Dank! Und Europa sei Dank. Noch so etwas Traumhaftes: Borgward Isabella TS im Originalzustand 2, gefunden in Frankreich – wo sonst? Fahrbereit für eine 900km-Reise. Vorkommnisse? Bei der Isabella nicht, nur bei der brandneuen 6V-Batterie… Motor abschalten verboten auf der Reise! Das stört aber den Genuss nicht. Europa, Neckar, St.Tropez und Bremen – diese Autolandkarte kann man nur genießen!