Ankunft in Wissembourg und Wehmut beim Herausgeber des Oldtimerreporters. So einen hatte er dereinst studienbegleitend als Schulbus gefahren, Ende der Achtziger als Oldtimer gesichert und dann doch wieder aus Platzgründen abgeben müssen. Fotos: Oldtimerreporter.Müller


Manche vergangene Herstellernamen erzeugen in Fankreisen noch heute ein besonderes Kribbeln auf der Haut. Bei den Autoliebhabern lassen Namen wie Borgward oder Maybach die Herzen höher schlagen, den Zweiradkennern geht es so bei Kreidler und DKW – und die Omnibusfans? Die werden ganz sicher elektrisiert bei der Nennung des Namens Ludewig. Exakt, Ludewig in Essen, gegründet 1909 als „Kopp und Ludewig“ und zunächst mit der Herstellung von Sonderaufbauten für PKW beschäftigt. 1934 kommt das Geschäftsgebiet Herstellung von Omnibuskarossen auf zugelieferten Fahrgestellen dazu, womit man die Eintrittskarte in die Welt der Bushersteller hat. Diese Eintrittskarte ist nach dem Krieg sehr nützlich, als man eine Kooperation mit der Firma Büssing aus Braunschweig beginnt.

Die Büssing – Omnibusse bilden seit Beginn der 195oer-Jahre zumeist die Basis für den beinahe revolutionären Anderthalbdecker: Man nehme einen handelsüblichen Omnibus, senke ihn im Heckbereich ab und installiere dort ein Oberdeck. Ergebnis: Deutlich mehr Fahrgastkapazität bei annähernd gleicher Fahrzeuglänge.


Zum schnellen Drehen notfalls mal aufstehen. Die eingebaute Lenkhilfe ist mit modernen Fahrzeugen nicht zu vergleichen. Ein Grund, warum damals doch eher keine Damen am Omnibus-Volant drehten.


Gegenüber den damals noch üblichen Bus-Personenanhängern ein unbestreitbarer Vorteil, gerade im städtischen Verkehr. Gut 800 Anderthalbdecker entstehen bis 1977 bei Ludewig, bevor die Firma den Omnibusbau aufgeben muss.  Und heute? Haben Väterchen Rost und Mütterchen Verschleiß ihr Werk getan, nur eine Handvoll Exemplare existieren noch. Eines davon ziert seit dem 15.08. die Hallen des Anciens Autocars de France (AADF) im elsässischen Wissembourg. Dort, in einem etwa 14.000 m² großen ehemaligen Metallwerk, befindet sich der Ludewig in bester Gesellschaft mit etwa 130 anderen Omnibus-/LKW-/Transport-Pretiosen aller (Oldie-) Art. Mercedes O 302 mit Vetter-Aufbau? Bien sur. Neoplan Typ Hamburg? Na klar. Berliet Feuerwehr-LKW? Sicher doch. Seit 2007 existiert dieser Verein, ursprünglich gegründet, um zwei gestrandete Oldie-Busse retten zu können. Na ja, wo zwei sind, kann man auch noch einen dritten dazunehmen… und einen vierten…und einen hundertdreißigsten… 


Die "Unfug-Ecke". Ganz spezielle Schüler zogen sich gern ins Oberdeck zurück, damit ihre Possen dem Fahrer nicht so direkt ins Auge fielen.


Eine lange Liste an unglaublichen Schätzen, die im Frühjahr 2021 auch der Öffentlichkeit zugänglich wird, mit tatkräftiger Unterstützung des AADF-Schwestervereins „Deutsch-französische historische Omnibusse“ aus der Südpfalz.  Dann also auch mit dem Ludewig-Büssing und dessen besonderer Geschichte. 1974 entsteht dieser Anderthalbdecker als Wagen Nr.126 der Elektrizitätswerke Minden-Ravensberg, zusammen mit seinem Schwesterfahrzeug Wagen Nr.127, ausgestattet als einer der letzten mit Büssing-Unterflurmotor und Büssing-Front.  Wagen Nr.127 ist verschollen, Nr.126 verrichtet seinen Dienst brav noch bis in die 1990er-Jahre im Schülerverkehr der EMR. Im Omnibus-Rentenalter gelangt er 2003 zu einem Unternehmen nach Wuppertal. Dort hat man gute Ideen, wie mit Wagen Nr.126 weiter zu verfahren ist. Mit Hilfe von Fördergeldern des Landes NRW und der Unterstützung der damals noch existierenden Firma Ludewig möchte man den Bus-Senior wieder auf Vordermann bringen, um ihn für Touristenfahrten einzusetzen.
Dumm nur, wenn die Politik sich die Dinge anders überlegt und die Fördergelder wieder streicht. So bleibt es bei dem Plan, der Ludewig steht bis zum Herbst 2019 im unberührten Dornröschenschlaf. Platzmangel bringt Bewegung in die Sache: Wuppertal ruft Wissembourg, rettet den Anderthalbdecker!  Solch einem Hilferuf können die Mannen um den AADF-Vorsitzenden Jean-Louis Eschenlauer selten widerstehen. Schwertransporter organisiert, alle Details geplant, im März 2020 steht da zunächst ein Wesen namens Corona im Weg. Auf ein Neues im August 2020! Nun darf der Transport von Saarbrücken aus seine Reise ins bergische Land und zurück ins Elsass antreten. Cirka neun Stunden Nachtfahrt ab Wuppertal mit Unwettern, Autobahnsperrungen und erheiternden Fahrten über schmale Landstraßen. Reißende Spanngurte inclusive. Da sage noch einer, LKW-Fahrer sei ein monotoner Beruf. Morgens um 8 dann ein großer Bahnhof vor den Hallen des AADF in Wissembourg, zahlreiche Notizblöcke und Fotoapparate werden gezückt.
Viele Hände spenden Applaus, als das LKW-Bus-Gespann vorfährt. Die Freude wird noch größer, als sich die Bustüren öffnen, Eintritt in die Omnibuswelt der 60er-/70er-Jahre. Originales Kunstleder und dessen typischer Geruch, ein schmaler Schaffnerplatz in der Mitte des Busses, vorne regiert der Kraftfahrer am riesigen Lenkrad, den ellenlangen Schaltbaum zu seiner Rechten. Im Oberdeck eine großartige Aussicht auf den plötzlich so weit entfernten Verkehr. Wie schon gesagt, alles original benutzter Zustand, innen wie außen. Rostnarben, Risse und Ranzenabdrücke. Aber nichts, was den AADF und den DHFO abhalten würde. R wie Restauration haben sie fest im Blick, ganz klar. Auch wenn da immer wieder neue Projekte zugelaufen kommen. Man kennt den AADF in der Oldie-Nutzfahrzeugszene und funkt gerne SOS dorthin, wenn irgendwo ein Schätzlein abzugeben ist. Beispielsweise ein Ludewig oder wenige Tage zuvor ein Citroen-Bus Baujahr 1935 aus der Bretagne…
Also, man darf sich auf das Frühjahr 2021 freuen, wenn alle Busse, LKW, Traktoren im neuen Transportmuseum zu besichtigen sind. Bis dahin kann man sich jeden ersten Sonntag im Monat (von 10-13 Uhr) beim PKW-Oldiemeeting des AADF an  diversen Kostbarkeiten erfreuen. Auf nach Wissembourg!

 




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